Der Beitrag von Frau W., in dem sie von ihrem Bob Abschied nahm, erinnerte mich an meinen Abschied vor neun Monaten.

Wie alles begann…Photo 17.07.13 15 31 42

Das Auto ist meistens auch ein bisschen Status-Symbol. Für mich war es damals auch ein Stückchen Freiheit. Man konnte einfach irgendwohin fahren und musste nicht auf Fahrpläne achten oder frierend im Regen auf den verspäteten Zug warten, der sicher rappelvoll und überheizt sein wird. Das Auto war meine eigene kleine Welt. Eine Blase, in welcher meine Musik lief, mein Raumklima herrschte und meine Regeln galten. Später wollte man nicht nur von A nach B kommen, sondern dies auch noch mit Stil tun. Das Vorwärtskommen sollte Spass machen, wobei wir beim Status-Symbol angekommen sind. 2006 kaufte ich mir ein Upgrade in Form eines Skoda Octavia RS mit getönten Scheiben und gecleantem Vorder-  und Hinterteil. Die Mühle soll im Testosterongeschwängerten Umfeld  ja auch was hermachen 😀

Der Anfang vom Ende

Der Octavia hat mich jahrelang ohne zu murren zur Arbeit und wieder nach Hause gebracht. Auf dem Nordring genauso wie im Freiamt hatte ich mein fahrbares Wohnzimmer dabei. Klar, in die Stadt hinein fährt niemand gern, so habe ich Zürich oder Bern mit dem Auto gemieden. Wenn, dann bin ich mit dem Zug dorthin, dafür hab ich ja das Halbtax. Diese Einstellung verstärkte sich, als ich nach Dietikon in Bahnhofsnähe zog. Alle 15 min eine S-Bahn nach Zürich und hin und wieder ein Schnellzug nach Zürich, Baden, Basel oder zum Flughafen. was will man mehr?

Nachdem mein Brötchengeber vom tiefsten Freiamt nach Lenzburg neben den Bahnhof zügelte war der Moment gekommen, an dem mein Arbeitsweg mit dem Zug definitiv kürzer war als mit dem Auto. Für meinen Octavia wurden die Standzeiten in der Garage immer länger.

Der Todesstoss

Beim Vorbereitungsservice fürs Vorführen beim Strassenverkehrsamt kam der verhängnisvolle Anruf meines Garagisten.  Als er meinte, die nötigen Reparaturen überstiegen den Fahrzeugwert war für mich die Sache klar. Schweren Herzens habe ich mein Auto ausgeräumt und von ihm Abschied genommen. Nun fährt er wohl irgendwo in Osteuropa rum.

Das neue Vorwärtskommen

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Auf dem Rückweg mit einer Kiste voller Gerümpel aus dem Auto, unter anderem 3 (!) Regenschirme, hab ich mir gleich ein GA gekauft. Mit nur 600.– Stutz mehr als mein bisheriges Zonen-Abo auch keine schwere Entscheidung. Die Umstellung auf ein Leben ohne Auto ging einfacher als erwartet. Hatte ja auch über ein Jahr Zeit mich daran zu gewöhnen.

Es wird oft von eingebüssten Freiheiten gesprochen, wenn man das Auto aufgibt. Ja, man büsst ein paar Freiheiten ein, gewinnt jedoch mindestens so viele neue. Besonders mit dem GA muss man sich keine Gedanken mehr machen, was die Zugfahrt von Dietikon nach Bern an den AvatarDay, oder ein sponti-Besuch bei der Villa Zvilla in Rappi kostet. Man steigt einfach ein und fährt los. Man muss sich keine sorgen über die Parkplatzsuche und dessen räuberische Preise in einer Stadt machen und man muss sich nicht vor dem Ausgang absprechen, wer nach Hause fährt.

Die Voraussetzungen müssen Stimmen, auch im Kopf

Damit der Umstieg vom Auto auf den ÖV klappt, braucht es die richtigen Voraussetzungen. Wir wohnen relativ zentral, benötigen maximal 15 Minuten um zum HB zu kommen und haben je nach Tageszeit 4-8 Verbindungen pro Stunde. Ein grosser Migros sowie viele andere Läden (Post, Schuhmacher, Coiffeur, Fitness-Studio) sind in Laufdistanz. Von Zuhause laufen wir in 5 Minuten zum Bahnhof. Doch das wichtigste von allem: Das Mindset muss stimmen! Die Voraussetzungen können noch so ideal sein, wenn der Kopf es nicht will, ist man von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Auch wenn ich Auto- oder Zugfahren nicht mit einer Sucht gleichstellen will, hat es doch etwas vom Rauchen abgewöhnen. Wer das nicht will, der wird trotz der gut gemeinten Vorsätze bald wieder eine anzünden. So ist es auch mit dem Umstieg auf den ÖV. Wer Zugfahren per se schon doof findet wird vermutlich jede Minute im Zug sein Auto herbeisehnen.

sbb-das-generalabonnementWer sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzt muss sich seinen Alltag anschauen und sich selbst ehrlich beantworten, ob die ÖV-Alternativen machbar sind. Einfach mal so ein GA kaufen und es dann doch nicht nutzen kann ein teurer Spass werden. Wer es trotzdem ausprobieren möchte ohne gleich die 3’500.– Stutz auszugeben, der kann sich ein GA im Abo kaufen oder, wenn ein Halbtax vorhanden ist, eine Monatskarte zum Halbtax.

Mein persönliches Fazit

Für mich ist der Umstieg auf den Zug gelungen, hat jedoch mehr Veränderungen mitgebracht als ich erwartet hätte. So muss ich mir am Morgen überlegen, wie mein Tag aussieht und ob ich zB einen Schirm mitnehmen sollte. Im Auto hatte ich einfach einen dabei. Da ich keinen Zigarettenanzünder mehr habe, der das Handy auflädt, habe ich nun ein AkkuPack dabei. Mein Leben spielt sich vermehrt in Städten ab wo die ÖV-Infrastruktur gut ausgebaut ist. Man trifft sich nicht mehr im Frohsinn in Hinterpfupfingen sondern geht beispielsweise zu Frau Gerolds Garten. Ich kann mich auch mal in Luzern oder Bern verabreden, ohne eine gute Stunde lang die Rücklichter des Vordermannes zu studieren sondern kann etwas Lesen, Musik hören oder auch arbeiten. Grosse Einkäufe werden entweder auf mehrere Kleine aufgeteilt oder geliefert.

1382534082578Der Fall Ski-Weekend ist einer der kniffligeren. Da muss entweder der Transportservice der SBB bemüht werden, oder ich miete meine Skis direkt im Skigebiet. Auch der „günstige“ Einkauf im grossen Kanton ist nicht mehr so günstig, ausser man kann sich ein Auto leihen. Sollte der Bedarf nach einem Fahrbaren Untersatz doch wieder mal aufkommen, haben wir uns einen Mobility-Genossenschaftsschein gesichert. So können wir bei Bedarf flexibel auf ein Auto zurückgreifen. Das einzige, was nicht geht ist der Auto-Urlaub in welchem man durch Südfrankreich kurvt. Dafür muss ich mir noch was überlegen 😀

Das wichtigste ist und bleibt, die Veränderung zulassen zu wollen. Für mich hat’s geklappt und ich bin zufrieden so wie es im Moment ist.